Kryoelektronenmikroskopie und Computersimulationen des mitochondrialen Komplex I
Ein wichtiger Mechanismus, mit der die Zelle Energie gewinnt, ist die so genannte Atmungskette in den zelleigenen Kraftwerken (Mitochondrien). In einer neuen Studie haben Forscherinnen und Forscher der Goethe-Universität Frankfurt, des Max-Planck-Instituts für Biophysik und der Universität Helsinki eine hochaufgelöste Struktur eines zentralen Biomoleküls der Atmungskette, dem mitochondrialen Komplex I, bestimmt und seine Funktionsweise im Computer simuliert. Die Erkenntnisse helfen sowohl der Grundlagenforschung wie auch beim Verständnis bestimmter neuromuskulärer und neurodegenerativer Erkrankungen, die von Mitochondrien ausgehen.
FRANKFURT. Alle
Lebensprozesse erfordern eine ständige Versorgung mit Energie. In der Zelle
wird diese Energie hauptsächlich über das chemisch „aufgeladene“ Molekül ATP
zur Verfügung gestellt. Erzeugt werden die ATP-Energiepakete unter anderem in
spezialisierten kleinen Organen („Organellen“) der Zelle, den Mitochondrien.
Dort läuft die Energiegewinnung ähnlich ab wie in einem
Pumpspeicherkraftwerk: Über die Atmungskette werden Wasserstoffionen (Protonen
mit positiver Ladung) von einer Seite der inneren Mitochondrien-Membran auf die
andere gepumpt (sozusagen bergauf), sodass ein chemisches Konzentrationsgefälle
und eine elektrische Spannung entstehen. Entlang dieses elektrochemischen
Gradienten „fließen“ die Protonen „bergab“ durch eine Art Turbine, die für die
Zelle nutzbare Energie in Form von ATP erzeugt.
Eine der Protonenpumpen im ersten Schritt des Prozesses ist ein
großes, L-förmiges Biomolekül, der mitochondriale Komplex I (kurz: Komplex I).
Mit seinem waagerechten Arm ist das L in der Membran verankert. Am senkrechten
Arm des L bindet er das Elektronenträgermolekül NADH, das aus der
Verstoffwechselung beispielsweise von Zucker stammt. Komplex I katalysiert die
Übertragung von Elektronen von NADH auf Ubichinon (Q10) und die in dieser
Reaktion freiwerdende Energie wird zum Antrieb der Protonenpumpe genutzt.
Dem Forscherteam der Goethe-Universität Frankfurt und des
Max-Planck-Instituts für Biophysik in Frankfurt ist es gelungen, die
3D-Struktur von Komplex I über hochauflösende Bildgebungsverfahren
(Kryoelektronenmikroskopie) exakt zu vermessen und abzuleiten, auf welchen
Wegen die Protonen innerhalb des Komplex I transportiert werden. Hierbei
spielen, so konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen,
Wassermoleküle in der Proteinstruktur eine wichtige Rolle.
Die hochaufgelösten Strukturdaten ermöglichten umfangreiche
Computersimulationen durch Kolleginnen und Kollegen der Universität Helsinki,
die zeigten, wie sich die Pumpe während des Protonentransports wahrscheinlich
bewegt.
Dr. Janet Vonck vom Max-Planck-Instituts für Biophysik erklärt:
„Unsere Studie gibt neue Einblicke in die Funktionsweise einer molekularen
Maschine der biologischen Energieumwandlung.“ Prof. Volker Zickermann vom
Institut für Biochemie II der Goethe-Universität Frankfurt meint: „Dieses
Wissen kann dazu beitragen bestimmte mitochondriale Krankheiten wie zum
Beispiel die Augenkrankheit Lebersche hereditäre Optikusneuropathie besser zu
verstehen.“
Publikation: Kristian Parey, Jonathan Lasham, Deryck J. Mills, Amina Djurabekova, Outi Haapanen, Etienne Galemou Yoga, Hao Xie, Werner Kühlbrandt, Vivek Sharma, Janet Vonck, Volker Zickermann: High-resolution structure and dynamics of mitochondrial complex I—Insights into the proton pumping mechanism. Sci Adv. 2021 Nov 12;7(46) https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abj3221
Bilder zum
Download: https://www.uni-frankfurt.de/109657054
Bildtext: Fast wie ein Stiefel: Die L-förmige Struktur des mitochondrialen
Komplex I bei einer Auflösung von 2,1 Ångström (0,00000021 Millimeter),
aufgenommen mit einem Kryoelektronenmikroskop. Bild: Janet Vonck, MPI für
Biophysik
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Volker Zickermann
Institut für Biochemie II
Goethe-Universität Frankfurt
Tel. +49 (0)69 798-29575
zickermann@med.uni-frankfurt.de
Dr. Janet
Vonck
Max-Planck-Institut
für Biophysik, Frankfurt am Main
Tel. +49
(0)69 6303-3004
janet.vonck@biophys.mpg.de