Deutsch-amerkanisches Forschungsteam wirft Licht auf die Entstehung pathogener Acinetobacter-Arten
Im Krankenhaus erworbene Infektionen sind oft besonders schwer zu behandeln, weil die Erreger Resistenzen gegen gängige Antibiotika aufweisen. In dieser Hinsicht besonders gefürchtet ist das Bakterium Acinetobacter baumannii, für dessen Bekämpfung nach neuen Therapieansätze gesucht wird. Um hierfür nach Ansatzpunkten zu suchen, hat ein internationales Team unter Leitung von Bioinformatikern der Goethe-Universität Frankfurt tausende Genome von krankmachenden und ungefährlichen Acinetobacter-Stämmen miteinander verglichen. Dies liefert Hinweise darauf, welche Eigenschaften A. baumannii zum erfolgreichen Pathogen gemacht haben könnten – und wie sich der Erreger möglicherweise bekämpfen lässt.
FRANKFURT. Jährlich erkranken in Europa mehr als 670
000 Menschen an Erregern, die resistent gegen Antibiotika sind, und 33 000
sterben an den von ihnen verursachten Krankheiten. Besonders gefürchtet sind
Keime, die gleich gegen mehrere Antibiotika resistent sind. Zu ihnen gehört das
Bakterium Acinetobacter baumannii, das
heute vor allem als „Krankenhauskeim“ gefürchtet ist: Schätzungen zufolge gehen
bis zu fünf Prozent aller im Krankenhaus erworbenen bakteriellen Infektionen
alleine auf diesen Keim zurück.
A.
baumannii steht ganz oben auf einer Liste von Kandidaten, für die laut der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) neue Therapien entwickelt werden müssen. Denn
der Erreger erwirbt aufgrund eines flexiblen Genoms leicht neue
Antibiotikaresistenzen. Gleichzeitig treten Infektionen zunehmend auch
außerhalb des Krankenhauses auf und zeigen außerdem immer schwerere Verläufe. Eine
Voraussetzung für die Entwicklung neuer Therapieansätze ist allerdings, dass
wir verstehen, welche Eigenschaften A.
baumannii und seine humanpathogenen Verwandten, die im sogenannten Acinetobacter calcoaceticus-baumannii-(ACB)-Komplex
zusammengefasst sind, zu einem Krankheitserreger machen.
Einen Meilenstein in diesem Verständnis hat nun ein Team um den
Bioinformatiker Prof. Ingo Ebersberger von der Goethe-Universität
Frankfurt/LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) erreicht,
das aus Mitgliedern der Forschungsgruppe FOR2251 der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) und weiteren nationalen und internationalen
Partnern – darunter Wissenschaftler:innen der Washington University School of
Medicine in St. Louis, USA, besteht.
Für ihre Analyse hat sich das Team zunutze gemacht, dass ein
Großteil der Vertreter der Gattung Acinetobacter
harmlose Umweltbakterien sind, die in Gewässern, auf Pflanzen oder Tieren
leben. Sowohl von diesen als auch von den pathogenen Acinetobacter-Stämmen sind in öffentlich zugänglichen Datenbanken Tausende
von vollständigen Genomsequenzen hinterlegt.
Indem die Forscher diese Genome miteinander verglichen, konnten
sie gezielt Unterschiede zwischen den krankmachenden und den harmlosen Bakterien
herausfiltern. Weil das Vorkommen einzelner Gene nicht so aussagekräftig war,
konzentrierten sich Ebersberger und Kolleg:innen auf Gencluster, also Gruppen benachbarter
Gene, die im Verlauf der Evolution als Einheit stabil geblieben sind und potenziell
funktionelle Einheit bilden könnten. „Von diesen evolutionär stabilen
Genclustern haben wir 150 gefunden, die bei pathogenen Acinetobacter-Stämmen vorkommen und bei ihren nicht-pathogenen
Verwandten entweder sehr selten sind oder sogar fehlen“, fasst der
Bioinformatiker zusammen. „Bei diesen Genclustern ist die Wahrscheinlichkeit
hoch, dass sie den Krankheitserregern einen Überlebensvorteil im menschlichen
Wirt verschaffen.“
Wichtige Eigenschaften von Krankheitserregern sind unter anderem
die Fähigkeit, schützende Biofilme zu bilden, sowie Mikronährstoffe wie Eisen
und Zink effektiv aufnehmen zu können. Tatsächlich entdeckten die Forscher:innen,
dass es mehr Aufnahmesysteme in der ACB-Gruppe gibt und damit die
Mikronährstoffe effektiver aufgenommen werden können als dies mit den evolutionär
älteren Aufnahmesysteme der harmlosen Acinetobacter-Vetretern
der Fall ist.
Besonders spannend ist, dass sich die Krankheitserreger
offensichtlich eine besondere Energiequelle erschlossen haben: Sie können das
vom Menschen gebildete Kohlenhydrat Kynurenin abbauen, das als Botenstoff das
angeborene Immunsystem reguliert. Damit schlagen die Bakterien wohl zwei
Fliegen mit einer Klappe. Einerseits liefert ihnen der Abbau von Kynurenin
Energie, andererseits könnten sie damit die Immunantwort des Wirts deregulieren.
„Unsere Arbeit ist ein Meilenstein im Verständnis, was pathogene Acinetobacter baumannii ausmacht“, ist
Ebersberger überzeugt. „Unsere Daten sind so hochauflösend, dass wir uns sogar
die Situation in einzelnen Stämmen anschauen können. Dieses Wissen können wir
jetzt nutzen, um spezifische Therapien zu entwickeln, gegen die mit großer
Wahrscheinlichkeit noch keine Resistenzen existieren.“
Publikation:
Bardya Djahanschiri, Gisela Di Venanzio,
Jesus S. Distel, Jennifer Breisch, Marius Alfred Dieckmann, Alexander Goesmann,
Beate Averhoff, Stephan Göttig, Gottfried Wilharm, Mario F. Feldman, Ingo
Ebersberger: Evolutionarily stable gene clusters
shed light on the common grounds of pathogenicity in the Acinetobacter
calcoaceticus-baumannii complex. PLOS Genetics
(2022) DOI 10.1371/journal.pgen.1010020 https://journals.plos.org/plosgenetics/article?id=10.1371/journal.pgen.1010020
Bilder zum Download:
Acinetobacter
baumannii
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Acinetobacter_baumannii.JPG
Rasterelektronenmikroskopische
Aufnahme eines Clusters von gramnegativen, unbeweglichen Bakterien der Art Acinetobacter baumannii. Photo: Janice
Carr
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Ingo Ebersberger
Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaft
Goethe-Universität
Frankfurt
Tel: +49 69 798 42112
ebersberger@bio.uni-frankfurt.de
Homepage: http://www.bio.uni-frankfurt.de/43045195/ak-ebersberger