Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preisträger*innen 2020

prkl

Regulatorische T-Zellen sind die Blauhelme des Immunsystems

Immunzellen können sehr angriffslustig sein. Dass sie trotzdem Augenmaß bewahren und in der Regel nicht über das Ziel hinausschießen, ist unter anderem den von Shimon Sakaguchi entdeckten regulatorischen T-Zellen zu verdanken. Diese Zellen halten das Immunsystem im Gleichgewicht und sorgen dafür, dass es zwischen Angriff und Friedenspflicht zu unterscheiden weiß. Diese Rolle qualifiziert die regulatorischen T-Zellen auch für die Therapie, weil das Immunsystem bei einigen Erkrankungen einen Dämpfer gebrauchen kann, bei anderen einen Kick. Deshalb spricht derzeit einiges dafür, dass die regulatorischen T-Zellen bald die neuen Helden der Medizin sein werden und zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen, Krebs und bei Organtransplantationen herangezogen werden.


„Horror autotoxicus“ nannte Paul Ehrlich einen Zustand der Selbstzerstörung, den er für wahrscheinlich hielt, damals aber nicht beweisen konnte. Er war der festen Überzeugung, dass das Immunsystem auch körpereigenes Gewebe attackieren und vernichten kann, dies aber aus irgendeinem Grund nicht tut. Wie ein solcher Schutzmechanismus aussehen könnte, vermochte Paul Ehrlich nicht zu sagen. Die endgültige Antwort lieferte erst der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter Preisträger Shimon Sakaguchi von der Universität Osaka. Sakaguchi konnte 1995 zeigen, dass das Immunsystem mit den regulatorischen T-Zellen eine Friedenstruppe besitzt, die den Thymus kurz nach den konventionellen T-Helfer-Zellen verlässt und diese dann bei deren Patrouille durch die einzelnen Organe ständig überwacht. Deklarieren die T-Helfer-Zellen körpereigenes Gewebe fälschlicherweise zum Feind, gehen die regulatorischen T-Zellen dazwischen und blasen den Angriff ab. Auf diese Weise sorgen die regulatorischen T-Zellen dafür, dass das Immunsystem zwischen dem unterscheidet, was zum Körper gehört und was fremd ist. Diese Fähigkeit wird als Selbsttoleranz bezeichnet. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns nicht selbst zerstören, dass wir friedlich mit nützlichen Bakterien und Viren zusammenleben und dass eine Schwangerschaft möglich ist, obwohl das heranwachsende Kind über den väterlichen Chromosomensatz einen erheblichen Teil an Fremdheit besitzt.

Der Querdenker

Sakaguchi musste seine Entdeckung allerdings gegen erhebliche Widerstände durchsetzen. In den 1970er und 1980er-Jahren glaubte man, dass über Selbsttoleranz ausschließlich im Thymus entschieden werde – einem Organ hinter dem Brustbein, das bis zur Pubertät hochaktiv ist, dann aber nur noch eine vergleichsweise geringe Erhaltungsfunktion hat. Im Thymus durchlaufen die frisch aus dem Knochenmark angelieferte Vorläuferzellen eine Schulung, die sie zu reifen T-Zellen macht. Die T-Zellen, die dabei körpereigenes Gewebe erkennen – sogenannte Selbstantigene –, werden rigoros aussortiert und in den programmierten Selbstmord getrieben. Diese Säuberung reiche für eine effektive Selbsttoleranz aus – so die damalige Auffassung. Dabei wurden zwei Umstände missachtet: Zum einen, dass in jeder Schule nicht alle schlechten Leistungen sanktioniert werden und zum anderen, dass der Lehrplan oft lückenhaft ist. Das gilt auch für die Thymusschule, denn es gibt in den Organen Selbstantigene, die nie im Thymus auftauchen und die deshalb in seinem Lehrplan nicht berücksichtigt werden. Deshalb ist eine Friedenstruppe nötig, die hilft, nach der Unterscheidung zwischen „fremd“ und „selbst“ Überreaktionen gegen körpereigene Strukturen zu verhindern. Treten bei diesem Vorgang Fehler auf, drohen Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, Typ 1 Diabetes, Morbus Crohn, Multiple Sklerose oder Autoimmun-Thyreoiditis.

Dabei gab es schon früher Hinweise auf eine Friedenstruppe im Immunsystem, die aber wenig beachtet wurden. Entfernte man zum Beispiel gesunden Mäusen drei Tage nach der Geburt den Thymus, entwickelten die Tiere eine Autoimmunerkrankung. Entfernte man ihnen den Thymus erst am siebten Tag nach der Geburt, entstanden keine Autoimmunerkrankungen. Der Thymus musste also nach dem dritten Tag einen Schutzschirm aufgespannt haben, der die Entstehung der Autoimmunerkrankungen verhinderte. Dieser Schutzschirm besteht aus der Entsendung der regulatorischen T-Zellen – nur dass diese Zellen damals nicht eindeutig zu identifizieren waren, weil niemand ihre besonderen Merkmale kannte. Die regulatorischen T-Zellen waren daher lange Zeit ein gleichsam unsichtbarer Teil in der großen Masse an konventionellen T-Zellen und weil man sie nicht eindeutig erkennen und zuordnen konnte, bezweifelten viele Wissenschaftler schlichtweg deren Existenz.

Den richtigen Marker finden


Sakaguchi suchte deshalb einen entsprechen Marker, der dann auch als Angelhaken für die Isolierung der regulatorischen T-Zellen dienen sollte. Er fand ihn in dem Oberflächenprotein CD25, der sogenannten alpha-Kette des IL2-Rezeptors. Regulatorische T-Zellen sind die einzigen T-Zellen, die ständig große Mengen dieses Proteins bilden und sie können über diesen Marker daher gezielt aus der großen Masse der konventionellen T-Zellen herausgefischt werden. Der Wert dieser Entdeckung war enorm. Zum einen zeigte sie, dass es die regulatorischen T-Zellen tatsächlich gibt und dass man sie isolieren und damit besser untersuchen kann. Zum anderen verwies dieser Marker auch auf die besonderen Eigenschaften und Bedürfnisse der regulatorischen T-Zellen. Diese Zellen mussten offensichtlich wegen der hohen Dichte an IL-2 Rezeptor auf ihrer Oberfläche in irgendeiner Form von dem Botenstoff IL2 abhängig sein. Das gab den Wissenschaftler einen entscheidenden Hinweis für die weitere Forschung an die Hand.
Sakaguchi machte aber noch eine weitere wichtige Entdeckung. Er zeigte, dass regulatorische T-Zellen über ein Protein mit dem Namen Foxp3 verfügen. Über dieses Protein fahren sie die Maschinerie hoch, mit der das Immunsystem bei Bedarf gedämpft wird. Foxp3 ist damit der zentrale Schalter für den Betrieb der regulatorischen T-Zellen, ihr Aus- und Einschaltknopf sozusagen. Patienten mit dem sehr seltenen, angeborenen IPEX-Syndrom fehlt das Foxp3-Protein. Diese Patienten entwickeln daher schon bald nach der Geburt schwere Autoimmunerkrankungen, an denen sie oft schon in jungen Jahren sterben. Die Tatsache, dass das Fehlen der regulatorischen T-Zellen für das IPEX-Syndrom verantwortlich ist, machte unmissverständlich klar, dass diese Zellen auch beim Menschen präsent sind und eine hohe klinische Bedeutung haben. Spätestens ab dem Zeitpunkt war auch das klinische Interesse an diesen Zellen geweckt.

Therapie durch Dämpfung oder Kick

Die Tatsache, dass es eine Friedenstruppe außerhalb des Thymus gibt, macht sie zu einem guten Ziel für die Therapie verschiedenster Erkrankungen. Dabei kommen sowohl solche Krankheiten in Frage, bei denen das Immunsystem über die Stränge schlägt, als auch solche, bei denen das Immunsystem nicht mit der gebotenen Konsequenz gegen Missstände vorgeht. Letzteres ist zum Beispiel der Fall bei Krebs. Ein Tumor besteht zwar aus körpereigenen Zellen, aber weil die Tumorzellen sich nicht mehr an das einmal vereinbarte Programm halten und aus der Reihe tanzen, müsste das Immunsystem sie eigentlich als fremd erkennen und aussortieren. Das passiert aber nicht, weil die Krebszellen in der Lage sind, sich unter den Schutzschirm der regulatorischen T-Zellen zu stellen und sich damit einem Immunangriff zu entziehen. In einem Tumor können 60 bis 80 Prozent der vorhandenen T-Zellen regulatorische T-Zellen sein, normalerweise ist der Anteil dieser Zellen an den T-Zellen in einem Gewebe nicht viel größer als fünf Prozent. Zudem weiß man heute auch, dass die Prognose einer Krebserkrankung umso schlechter ist, je mehr regulatorische T-Zellen sich in dem Tumor aufhalten. Für eine entsprechende Therapie müssten die regulatorischen Zellen also diszipliniert oder reduziert werden – entweder indem man ihre Zahl im Tumor verringert oder ihre Wirkung blockiert. In jedem Fall geht es bei Krebs um eine Dämpfung der regulatorischen Zellen und eine Entfesselung des Immunsystem, damit es entschlossen gegen die Tumorzellen vorgehen kann.

Dabei ist es wichtig, möglichst spezifisch und nur auf den Tumor bezogen vorzugehen, denn die regulatorischen T-Zellen werden auch an anderer Stelle im Körper gebraucht. Eine Dämpfung im ganzen Körper könnte sonst möglicherweise zu Autoimmunerkrankungen führen, weil die Aufrechterhaltung der Selbsttoleranz an anderer Stelle gefährdet wäre. Sakaguchi sucht daher nach Mitteln die regulatorischen T-Zellen im Tumor gezielt in konventionelle T-Helfer-Zellen umzuwandeln und den Schutzschirm auf diese Weise auszuhebeln, dabei aber solche Wirkungen in den anderen Geweben des Körpers zu verhindern.

Für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen, Allergien oder Abstoßungsreaktionen nach einer Organtransplantation müssen die regulatorischen T-Zellen dagegen gestärkt werden, weil die Immunzellen bei diesen Erkrankungen fälschlicherweise gegen körpereigenes Gewebe oder das Spenderorgan vorgehen. Es gibt verschiedene Studien, in denen diese Konzepte geprüft werden. Allerdings gibt es derzeit nur Phase 1- und Phase 2-Studien, in denen die grundsätzliche Sicherheit und Wirkung regulatorischer T-Zellen getestet wird. Es wird also so schnell noch keine breitanwendbaren Therapien auf der Basis der regulatorischen T-Zellen geben. Die frühen klinischen Studien beziehen sich auf Typ1-Diabetes und Morbus Crohn – zwei Autoimmunerkrankungen – sowie auf die Vermeidung von Abstoßungsreaktionen bei einer Organtransplantation und Krebs.

Weitere Informationen:
Alle Unterlagen der Pressemappe und Fotos des Preisträgers sind unter www.paul-ehrlich-stiftung.de zur Verwendung hinterlegt. Der Abdruck ist kostenfrei. Den ausführlichen Lebenslauf von Professor Sakaguchi, ausgewählte Veröffentlichungen und die Publikationsliste erhalten Sie von Dr. Hildegard Kaulen, Telefon: +49 (0) 6122/52718, E-Mail: h.k@kaulen-wissenschaft.de

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