„In Zeiten, wo der wissenschaftliche Nachwuchs einen Verfallsdatum-Stempel von 12 Jahren aufgedrückt bekommt“, gewinne der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis „eine umso größere Bedeutung“, sagte dessen erste Laureatin Ana Martin-Villalba 2006 in der Frankfurter Paulskirche. Der Preis habe für sie „einen Stein ins Rollen gebracht“, sagt sie heute. Die Professorin leitet die Abteilung Molekulare Neurobiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und verfügt „über höchste Reputation in der neuronalen Stammzellenforschung“, wie ihr die Deutsche Forschungsgemeinschaft jüngst bescheinigte.

Ein gerechter Preis
„Keine andere Erfahrung meiner wissenschaftlichen Laufbahn war für mich bahnbrechender als dieser Preis“, sagt Martin-Villalba. Das liege auch daran, dass er „ein sehr gerechter Preis“ sei, bei dem es nicht vorrangig auf die Fürsprache eines „Mäzens“ ankomme, sondern vielmehr auf die Entscheidung eines Gremiums, vor dem man in einem Auswahlsymposium die eigene Forschung präsentiert und verteidigt. „Diesen Preis musste ich richtig erarbeiten und zeigen, dass ich Potential habe.“

Womit die junge Ärztin die Jury damals überzeugte, waren ihre Erkenntnisse zur Signalübertragung über den CD95-Rezeptor im Nervensystem. Dieser Rezeptor war 1989 am DKFZ als Schaltstelle für die programmierte Selbsttötung einer Zelle, die Apoptose, entdeckt worden. Extrazellulär wird die Apoptose hauptsächlich über CD95L vermittelt, einen Botenstoff, der an CD95 bindet. Nach Verletzungen des Rückenmarks aktiviert der CD95-Rezeptor jedoch, wie Martin-Villalba postulierte, nicht primär die eigentlich entzündungsfreie Apoptose, sondern provoziert Entzündungen, die zum Untergang von Nervengewebe führen. Indem sie im Blut zirkulierende CD95L-Botenstoffe pharmakologisch ausschaltete, konnte Martin-Villalba bei Versuchstieren die Schädigung des Rückenmarks verringern und eine Regeneration des Nervensystems anregen. So gelang ihr die Wiederherstellung motorischer Funktionen bei zuvor querschnittsgelähmten Mäusen.

Gegen die herrschende Meinung

Ihre Hypothese, dass es darauf ankomme, das CD95-Signalsystem zu hemmen, weitete sie auf die Behandlung von Tumoren aus, womit sie sich gegen die damals herrschende Lehrmeinung wandte, wonach man den „Todesrezeptor“ CD95 aktivieren müsse, um Krebszellen in die Apoptose zu treiben. Tatsächlich begünstigt CD95L das Wachstum eines Tumors oft sogar doppelt. Bindet es an die CD95-Rezeptoren von Krebszellen, stimuliert es bei soliden Tumoren in der Regel deren Proliferation wie auch deren Einwanderung in gesundes Gewebe. Folglich kann, so zeigte Martin-Villalba, ein CD95L-Inhibitor nicht nur Nervengewebe regenerieren, sondern auch das Wachstum von Gehirntumoren drosseln. Als APG101 wird dieser Wirkstoff von der Biotech-Firma Apogenix entwickelt, einer Ausgründung des DKFZ.

Über die Apoptose hinaus
Im Lauf der Jahre trug die Professorin mit ihrem Team immer mehr Beweise dafür zusammen, dass der CD95-Signalweg physiologisch eine Fülle von Funktionen erfüllt, die weit über die Apoptose hinausgehen. Molekül für Molekül zeichnete sie beispielsweise die CD95-vermittelte Befehlskette nach, die periphere Immunzellen veranlasst, in beschädigtes Nervengewebe einzuwandern und dort Entzündungen auszulösen, die den Schaden amplifizieren. Sie stellte fest, dass diese Signale innerhalb der Zelle alle auf Tyrosinkinasen konvergieren. „Unsere Gruppe hat bei der Erforschung der nicht-apoptotischen Rolle von CD95 Pionierarbeit geleistet“, sagt Martin-Villalba.

Ein neues Feld erschloss sich ihrer Forschung dann durch die Beobachtung, dass im erwachsenen Gehirn neuronale Stammzellen – von denen man einst dachte, dass es sie gar nicht gäbe – CD95 exprimieren, ausgereifte Nervenzellen aber nicht. „Wir fanden heraus, dass die Stammzellen über diesen Rezeptor aktiviert werden.“ Seither fokussiert Martin-Villalba ihre Arbeit darauf, das Entwicklungspotenzial neuronaler Stammzellen im Gehirn gezielt auszuschöpfen, um im Bedarfsfall abgestorbene Nervenzellen zu ersetzen. Dafür wurden ihr 2018 vom Europäischen Forschungsrat Fördermittel in Höhe von zwei Millionen Euro zugesprochen. Im selben Jahr übernahm sie den Vorsitz des Wissenschaftlichen Rates des DKFZ, der das Kuratorium und den Stiftungsvorstand in allen bedeutsamen wissenschaftlichen Angelegenheiten berät.

Eine Gratwanderung mit Perspektiven

Die Aktivierung neuronaler Stammzellen muss jedoch so behutsam erfolgen, dass sie nicht das Entstehen eines Gehirntumors begünstigt. Wie real diese Gefahr ist, belegte Martin-Villalbas Gruppe 2019 in einer Nature-Publikation, in deren Mittelpunkt die Tyrosinkinase mTOR steht, ein zentraler Schalter der Zellproliferation. Wenn neuronale Stammzellen beginnen, sich zu Nervenzellen auszudifferenzieren, dimmen sie das wachstumsfördernde TOR-Signal zurück, ohne es ganz auszuschalten. Eine gewisse Zeit lang behalten sie so die Fähigkeit, sich durch Aufdrehen des Schalters wieder in Stammzellen zu verwandeln. Wenn sie das zu häufig tun, kann das Krebs auslösen, weil mTOR eben Wachstumssignale sendet.

Die mTOR-Aktivität zu kontrollieren, ist nur eine der vielen Herausforderungen, die sich einer möglichst gefahrlosen Stammzellstimulation im zentralen Nervensystem angesichts der ungeheuren Komplexität der intrazellulären Signaltransduktion stellen. Martin-Villalbas Team behält mit ausgefeilten Technologien viele Kommunikations-kanäle der Zelle im Blick, um einerseits die neuronale Regeneration so präzise wie möglich zu steuern und andererseits Tumorzellen so effektiv wie möglich zu bekämpfen. „Nur wenige von uns arbeiten noch an direkt an CD95, wir haben inzwischen viel feinere Wege und Angriffspunkte entdeckt.“

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