Internationales Forscherteam zeigt erstmals Fernwirkung bakterieller Stoffwechselprodukte
Bakterien im Darm verpacken verschiedenste ihrer Biomoleküle in kleine Kapseln. Diese werden vom Blutkreislauf in verschiedene Organe des Körpers transportiert und sogar von Nervenzellen des Gehirns aufgenommen und verarbeitet. Dies hat jetzt erstmals ein Team von Forscherinnen und Forschern der Goethe-Universität Frankfurt sowie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der University of California in San Francisco gezeigt. Die neu etablierte Forschungsmethode wird helfen, den Einfluss von Darmbakterien auf Krankheiten besser zu verstehen und könnte die Entwicklung innovativer Verabreichungsformen von Medikamenten oder Impfstoffen fördern.
FRANKFURT. Im
Menschen sind Bakterien in der Überzahl: Schätzungen zufolge kommen auf jede
menschliche Zelle 1,3 Bakterienzellen. Entsprechend überlegen sind uns unsere
Bakterien in ihrer genetischen Vielfalt. So haben alle Darmbakterien zusammen –
das Mikrobiom des Darms – 150mal so viele Gene wie der Mensch. Die
Stoffwechselprodukte der Darmbakterien wirken vielfältig auf unseren Körper:
Sie trainieren etwa unsere Immunzellen und tragen zu deren Reifung bei, sie
steuern Stoffwechselprozesse im Körper und wie häufig sich Zellen der
Darmschleimhaut erneuern. Änderungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms tragen
höchstwahrscheinlich zum Entstehen und Krankheitsverlauf etwa von
neurologischen- oder Krebserkrankungen bei.
Auf die Zellen der Darmschleimhaut wirken die bakteriellen
Stoffwechselprodukte über den direkten Kontakt. Wie solche Bakterienstoffe jedoch
in entfernte Organe wie Leber, Niere oder das Gehirn gelangen, war bislang
nicht geklärt. Als Transportmittel wurden kleine Kapseln (Membranbläschen oder
Vesikel) vermutet, die von Bakterien während ihres normalen Wachstums oder als
Reaktion auf Stress in die Umgebung abgegeben werden und die mit bakteriellen
Enzymen, Proteinen oder auch RNA-Erbmolekülen gefüllt sind.
Ein internationales Wissenschaftsteam um Dr. Stefan Momma vom
Neuroscience Center der Goethe-Universität Frankfurt, Prof. Claudia Günther von
der Universität Erlangen-Nürnberg und Prof. Robert Raffai von der University of
California hat jetzt an Mäusen untersucht, wie Bakterien ihre
Stoffwechselprodukte in solchen Vesikeln verteilen. Dazu besiedelten die
Forscher:innen den Darm von Mäusen mit E.-coli-Bakterien, die eine bestimmte
Genschere produzierten (Cre) und diese über Vesikel in die Umgebung abgaben.
Die Mäuse besaßen in Körperzellen ein Gen für ein rotes Leuchtprotein, das
durch die Genschere Cre aktiviert werden konnte (Cre/LoxP-System).
Das Ergebnis: In der anschließenden Untersuchung des Mausgewebes
waren die bakteriellen Stoffe von einzelnen Zellen des Darms, der Leber, der
Milz, des Herzen und der Nieren sowie von Immunzellen aufgenommen worden. Sogar
einzelne Nervenzellen des Gehirns leuchteten rot. Stefan Momma: „Besonders
beeindruckend ist, dass die Vesikel der Bakterien auch die Blut-Hirn-Schranke
überwinden und auf diese Weise in das ansonsten sehr gut abgeschottete Gehirn
gelangen können. Und dass die bioaktiven Bakterienstoffe sogar von Stammzellen
der Darmschleimhaut aufgenommen wurden zeigt uns, dass Darmbakterien womöglich
sogar dauerhaft die Eigenschaften der Darmschleimhaut verändern können.“
Die Fluoreszenzbilder weisen darauf hin, so Momma, dass die
Vesikel wahrscheinlich über den Blutstrom im Körper verteilt würden. „Die
weitere Erforschung dieser Kommunikationswege vom Reich der Bakterien ins Reich
der Säugetiere wird nicht nur unser Verständnis von Leiden wie
Autoimmunerkrankungen oder Krebs verbessern, bei dem das Mikrobiom ganz
offensichtlich eine wichtige Rolle spielt. Solchen Vesikel sind auch äußerst
interessant als neue Methode, um Medikamente zu verabreichen, oder zur
Entwicklung von Impfstoffen oder als Biomarker die auf eine pathologische
Veränderung des Mikrobioms hinweisen.“
Publikation: Miriam Bittel,Patrick Reichert,Ilann Sarfati,Anja Dressel,Stefanie
Leikam,Stefan Uderhardt,Iris Stolzer,Tuan Anh Phu,Martin Ng,Ngan K. Vu,Stefan
Tenzer,Ute Distler,Stefan Wirtz,Veit Rothhammer,Markus F. Neurath,Robert L.
Raffai,Claudia Günther, Stefan Momma: Visualizing transfer of microbial
biomolecules by outer membrane vesicles in microbe-host-communication in vivo. J Extracell Vesicles 2021 Oct;10(12):e12159 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/jev2.12159?af=R
Bilder zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/108079209
Bildtext: Im Gehirn der transgenen Maus leuchten zwei Nervenzellen rot, weil
sie ein Protein aus Darmbakterien aufgenommen haben. Blau: Kerne der übrigen
Zellen des Hirngewebes. (Foto: Stefan Momma)
Weitere Informationen
PD Dr.
Stefan Momma
Goethe-Universität Frankfurt
Neurologisches
Institut (Edinger Institut)
Neuroscience Center
Tel.: +49 (0) 69 6301-84158
stefan.momma@kgu.de